Allgemein
Das Älterwerden
Ein Thema, über das man vielleicht nicht so gerne spricht, das aber uns alle angeht, denn wir alle werden es Tag für Tag: das Älterwerden. Der körperbliche Abbau bei uns Menschen beginnt ja schon mit 25 Jahren mit dem Dünnerwerden von Schleimhaut und Bindegewebe. Kaum vorstellbar, denn mit 25 Jahren, so könnte man meinen, steht man noch voll im Saft. Was unsere Augen betrifft, so lässt die Elastizität hier sogar schon mit 15 Jahren nach. Aber davon merken wir noch nichts. Erst mit etwa 40 Jahren brauchen die meisten Leute eine Lesebrille. Ab 65 Jahren lässt die Reaktion nach, denn die Nervenimpulse benötigen länger, um Eintreffendes zu verarbeiten. Insbesondere beim Autofahren merkt der Mensch eine deutlich verlangsamte Reaktion.
Selbst die Durchblutung nimmt ab. Das Einzige, was wohl bei uns nicht abnimmt, ist die Intelligenz. Und was ist mit Sex? Birbaumer und Schmidt beschreiben in ihrem Buch „Biologische Psychologie“ (2010), dass kein Endpunkt für sexuelles Interesse und sexuelle Kompetenz auszumachen sei. Die Intelligenz sowie das Interesse an Sex bleiben uns also erhalten, wenn wir älter werden.
Das Älterwerden ist also keine schöne Sache. Mal hat man hier ein Wehwehchen, dann zwickt es im Rücken, die Füße tun weh und der Besuch beim Arzt wird immer häufiger. Krankheiten häufen sich und schon bald sind Leidensgeschichten das vorherrschende Thema bei Geburtstagen. Je älter man wird, desto schneller vergeht scheinbar die Zeit. Als wir noch jung waren, sehnten wir unseren 18. Geburtstag herbei, feierten diesen ganz groß, denn ab diesem Zeitpunkt waren wir volljährig, durften offiziell Alkohol trinken, bis in die Puppen weggehen, waren für uns selbst verantwortlich und erhielten nun erstmalig das Privileg, wählen zu gehen. Doch je älter wir werden, desto weniger feiern wir unsere Geburtstage, denn das verdeutlicht uns, dass wir wieder ein Jahr älter geworden sind, wieder ein Jahr näher dem Tod kommen. Natürlich könnten wir jeden Tag tot umfallen, ein Unfall könnte unser Leben beenden oder eine Krankheit. Doch das muss ja nicht sein. Was aber unweigerlich kommen wird, je älter wir werden, ist der Tod. Denn irgendwann ist unsere Lebensspanne, unsere Zeit auf der Erde zu Ende, das müssen wir akzeptieren. Und je älter wir werden, desto mehr Freunde, Bekannte und Verwandte um uns herum sterben. Das Leben ist vergänglich, das wird uns von Jahr zu Jahr klarer.
Ernährung
Die Ernährung rückt immer mehr in den Fokus. Ernähre ich mich richtig? Eine Heilpraktikerin hat einmal zu mir gesagt, dass die Ernährung große Auswirkungen auf Krebs haben könne. Laut ihrer Aussage dürften wir eigentlich kein Weizen, Zucker und keine Kuhmilch zu uns nehmen. Die Laktose in der Milch könnten wir, rein biologisch betrachtet, sowieso nur bis zum 5. Lebensjahr abbauen, danach habe der Körper Schwierigkeiten, mit Milch umzugehen. Die Ernährung spielt auch deshalb eine große Rolle, weil wir im Alter vermehrt an Krankheiten leiden. Eine gesunde Ernährung kann so mancher Krankheit einen Riegel vorschieben.
Sinne nehmen ab
Das Hören: Im Laufe des Alters bauen sämtliche Sinne ab. Das Hören wird schlechter, Sehen, Riechen, Tasten, ja sogar das Schmecken nimmt ab. Schwerhörigkeit beginnt etwa mit dem 65. Lebensjahr und kann das Leben sehr einschränken. Es ist ja nicht nur so, dass wir Stimmlagen hören, sondern wir orientieren uns an Geräuschen, können somit feststellen, von wo was kommt, wer sich jetzt gerade wo im Raum befindet. Bei schwerhörigen Menschen nimmt also nicht nur das Hörvermögen ab, sondern auch der Orientierungssinn. Ein Teil unserer Kontrolle geht dadurch verloren, was wiederum zu Unsicherheit, Rückzugstendenzen bis hin zur Isolation führen kann.
Das Sehen: Neben der Tatsache, dass irgendwann jeder Mensch eine Sehbrille braucht, also die Sehschärfe abnimmt, so verändert sich im Laufe des Alters auch die Lichtempfindlichkeit, die Hell- und Dunkelanpassung sowie das Gesichtsfeld, das eine Einschränkung erfährt. Ich hatte in Hamburg mal eine „Blindenführung“ (https://dialog-in-hamburg.de/ausstellungen/) für Sehende mitgemacht. In kleinen Gruppen und mit Taststöcken ausgestattet wurden wir von blinden Guides durch einen völlig abgedunkelten Raum geführt. Hier waren verschiedene Situationen aufgebaut, die uns die Umwelt und Alltagssituationen von blinden Menschen nachempfinden ließen. Also wie ist es beispielsweise in einem Café, wenn ich absolut nichts sehen kann. Wie finde ich einen nicht besetzten Platz? Wie kann ich bestellen und vor allem, wie finde ich die dann vor mir stehende Tasse? Gar nicht mal so einfach. Auch das Zurechtfinden als Nicht-Sehende in der City, im Hafen, im Einkaufsladen und in einem Restaurant (alles nachgebaute Szenen) ließen mich ganz schön an meine Grenzen kommen. Ich versuchte, die Situationen irgendwie zu meistern. Wie fühlt man sich als Blinder? Man muss sich komplett neu orientieren. Dafür werden andere Sinne geschärft, wie das Hören, Fühlen und auch der Geruchssinn. Ich kann diese „Blindenführung“ jedem sehr ans Herzen legen, denn es ist eine Erfahrung, mit der man Nicht-Sehende vielleicht in Zukunft anders sieht. Ich war völlig orientierungslos, natürlich vorsichtig, weil ich Angst hatte, sonst gegen irgendetwas dagegenzurennen, und auch das Essen im Restaurant war – ich sage jetzt mal – merkwürdig, weil das Auge isst eben doch mit.
Das Riechen: Man sagt, dass Riechstörungen häufiger seien als Schmeckstörungen, nur würde das nie bemerkt werden. Wenn der Mensch nicht mehr so gut schmecken kann, wird er sicherlich etwas dazu sagen können, doch wenn jemand etwas nicht mehr so gut riechen kann, wird ihm dies vermutlich nicht auffallen. Die Intensität des Schmeckens, also wie sauer, bitter, süß oder salzig etwas ist, nimmt im Alter ab.
Das Fühlen: Mit ist während meiner Tätigkeit als Ergotherapeutin aufgefallen, dass ältere Menschen mehr frieren als jüngere. Vielleicht liegt es daran, dass Senioren sich nicht mehr so viel bewegen wie Jüngere oder an einem nachlassenden Stoffwechsel, einer nachlassenden Durchblutung. Die ganze ältere Generation ab 70 Jahren dreht die Heizung hoch oder packt sich dick in eine Decke ein, weil ihr kalt ist.
Ich habe eine Klientin, die immer friert. Mir ist das aufgefallen und ich habe zu den Altenpflegern gesagt: „Packt sie doch dick ein.“ Doch als Antwort erhielt ich: Nein, denn dann wird es doch noch schlimmer.“ „Aber es ist doch ihr Gefühl“, habe ich darauf erwidert, „es ist doch schlimm, wenn einem ständig kalt ist. Warum respektiert ihr das nicht?“ Aber gegen deren Argument, dass es sonst einfach noch schlimmer würde, kam ich offensichtlich nicht an. Meiner Meinung nach fehlt so manchem Mitarbeiter in sozialen Einrichtungen das Einfühlungsvermögen, die Empathie. Oder man stumpft im Laufe der Zeit einfach ab und achtet darauf nicht mehr so. Ich denke, dass bei vielen älteren Menschen die Körperwahrnehmung verloren geht. Sich selber fühlen scheint dann deutlich eingeschränkt zu sein. Die Senioren sind ja manchmal einfach schon froh, wenn eine Decke um sie gewickelt wird. Die spendet ja nicht nur Wärme, sondern gibt auch ein Gefühl der Geborgenheit. Warum sonst ziehen sich viele Kinder bei Angst die Decke über den Kopf? Weil sie sich dadurch einfach sicherer fühlen.
Demenz
Eine häufig verbreitete Krankheit, die mit dem Alter kommen kann, ist die Demenz. Barry Reisberg M. D., Klinikdirektor der New York University School of Medicine’s Silberstein Aging and Dementia Research Center, entwickelte eine 7-Stufen-Skala der Demenz.
- Stufe: Keine Beeinträchtigung. Nichts deutet darauf hin, dass die Person an Demenz leidet.
- Stufe: Sehr leicht vermindertes Wahrnehmungsvermögen. Innerhalb dieser Stufe werden Alltagsgegenstände verlegt, Alltagswörter vergessen. Im Prinzip sind das solche Kleinigkeiten, die noch nicht weiter auffallen.
- Stufe: Leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen. Es fällt dem an Demenz Erkrankten zunehmend schwer, sich an Namen von Menschen zu erinnern. Die Ausführung von Aufgaben, Planung und Organisation bereiten zunehmend Schwierigkeiten, doch noch ist alles händelbar. Freunden oder der Familie fallen jedoch diese ersten Anzeichen auf und ein Arzt kann konsultiert werden, der möglicherweise Probleme mit dem Gedächtnis oder der Konzentration feststellen kann.
- Stufe: Mäßig gemindertes Wahrnehmungsvermögen. Kurz zurückliegende Ereignisse werden vergessen, die Erinnerung an die eigene Vergangenheit bereitet Schwierigkeiten. Die Durchführung komplexer Aufgaben scheitert und auch schwierigere Rechenaufgaben können im Kopf nicht mehr gelöst werden. Das führt zu schlechter Stimmung und zu ersten Rückzugs- und Isolationstendenzen.
Das Schlimme an dieser Krankheit ist, dass die an Demenz Erkrankten, die diese Schwierigkeiten haben, noch gut in der Lage sind, das nachzuvollziehen. Sie merken, dass sie an Demenz erkrankt sind und wissen, dass es noch schlimmer werden wird.
- Stufe: Mittelschwer gemindertes Wahrnehmungsvermögen. Die Erkrankten werden zunehmend verwirrter, können sich an ihre eigene Adresse oder Telefonnummer nicht mehr erinnern, welcher Tag gerade ist, Kopfrechnen wird immer schwieriger. Das Rückwärtszählen von 20 in 2er-Schritten bereitet zunehmend Probleme. Auch die Auswahl der Kleidung passend zur Jahreszeit wird immer schwieriger.
- Stufe: Schwerwiegend vermindertes Wahrnehmungsvermögen. Hier kommt es vor, dass dem Erkrankten der Name des Ehepartners entfällt. Nun ist der an Demenz leidende Mensch auf Hilfe beim Anziehen und beim Toilettengang angewiesen. Eine Änderung des Schlafverhaltens sowie des Wesens ist festzustellen. Der Erkrankte irrt vermehrt umher ist verwirrt und erkennt Angehörige nicht mehr.
- Stufe: Sehr schwerwiegend gemindertes Wahrnehmungsvermögen. In dieser Stufe geht gar nichts mehr. Der Erkrankte liegt im Bett und kann nichts mehr alleine machen, ist komplett auf Hilfe und Pflege angewiesen. Sämtliche Sinne sind eingeschränkt, teilweise eingestellt. In dieser Situation arbeiten wir Ergotherapeuten an der Förderung der Körperwahrnehmung, Sensibilität der Oberflächen- und Tiefenwahrnehmung. Wir versuchen, die Sinne anzuregen und arbeiten daran, dass man sich selbst fühlt.
Und emotional?
Doch was richtet diese Krankheit, die immer schlimmer wird, emotional mit dem Menschen an? Freude und Wohlbefinden sind aufgrund des Kontrollverlustes kaum noch vorhanden. Es entsteht vermehrt Schamgefühl. Angst, Stress, Hoffnungslosigkeit herrschen vor. Die Menschen wollen es nicht wahrhaben, dass sie diese Krankheit haben, können es nicht verstehen, warum es sie getroffen hat. Das Annehmen des Schicksals, die letzte Phase des Krisenverarbeitungsmodells, bei Demenz oder wenn man älter wird, ist sehr selten, insbesondere wenn man von anderen Menschen abhängig wird. Stattdessen ist man traurig und wütend auf das Umfeld, auf einen selbst. Es herrschen Ärger, Wut, Unzufriedenheit, Frust, Schuldgefühle, Einsamkeit, Gleichgültigkeit und natürlich Resignation vor. Es gibt Bedürfnisse, die jeder Mensch braucht, wie Wertschätzung, Dazugehörigkeit, Unterstützung, Freiheit, Eigenständigkeit, Autonomie. Der Mensch fühlt sich erniedrigt, abgewertet dadurch, dass er von anderen Leuten abhängig ist.
Pflegekräfte am Limit?
Was ich ganz besonders schlimm finde und was ich häufig beobachte, ist diese Respektlosigkeit von Pflegekräften älteren Menschen gegenüber. Wir haben eine Klientin, die schon sehr alt ist und die komplett auf Pflege angewiesen ist. Wenn ich zu ihr komme, dann fühle ich ihren Schmerz, fühle, was sie fühlt, kann es gut nachempfinden und es tut mir in der Seele weh. Sie hebt dann ihren Kopf und denkt: „Ich will nicht mehr.“ Weil sie nicht mehr hören kann, weil sie nicht mehr gut sehen kann, weil ihr kalt ist, sie sich nicht mehr integriert fühlt, weil eben ihre Sinne immer mehr abnehmen. Sie wird von den Pflegekräften aus dem Bett rausgeholt, ob sie möchte oder nicht. Anschließend schieben diese sie in den Aufenthaltsraum, wo sie eh nur noch schläft, weil sie eben durch den Verlust ihrer Sinne nichts mehr mitbekommt. Zur Essenszeit wird ihr der Löffel gereicht und in den Mund geschoben, ob sie essen möchte oder nicht. Das ist völlig egal. Dann erhält sie ihren Kaffee und anschließend schläft sie weiter, bis sie abends nach dem Abendessen wieder ins Bett gelegt wird. Ich finde diesen erzwungenen Tagesrhythmus, den diese alte Dame mitmachen muss, furchtbar. Niemand geht auf ihre Bedürfnisse ein. Morgens reißen die Pflegekräfte die Tür auf, knipsen das Licht an, ziehen die Jalousien nach oben, entkleiden die Frau und beginnen mit der Morgenwäsche. Es wird nicht einmal darauf eingegangen, ihr zu sagen, was jetzt mit ihr gemacht wird. Der sensible Umgang mit den Menschen im Seniorenheim fehlt mir immer mehr. Einfach mal fragen: „Wie geht es Ihnen?“, ein respektvoller Umgang mit den pflegebedürftigen Menschen, das kann doch nicht zu viel verlangt sein. Die Pflegekräfte rutschen in ihren Alltag rein – und, ja, man kann sagen, machen Fließbandarbeit. Wie erniedrigend muss das für die älteren Menschen sein. Sicherlich kann das auch auf die Unterbesetzung der Pflegekräfte zurückzuführen sein. Sie haben vielleicht gar keine andere Wahl, als einen nach dem anderen „abzuarbeiten“, wünschten sich vielleicht selbst etwas mehr Zeit für die Klienten, etwas mehr Raum. Aber die Situation im Moment lässt dies kaum zu. Sie leiden unter dem Stress und haben keine Zeit mehr für die Persönlichkeiten, mit denen sie jeden Tag zu tun haben. Und dennoch gibt es bei all dem Stress, dem Zeitmangel und der chronischen Unterbesetzung Pflegekräfte, die wirklich alles geben, die ein nettes Wort für jeden ihrer Klienten haben, die auf die Persönlichkeit der Senioren eingehen und bei denen ich merke, dass sie ihre Arbeit aus purer Leidenschaft machen. Wenn ich eine solche Pflegekraft antreffe – und das ist leider eher selten –, dann gehe ich zu ihr und sage ihr, dass ich ihre Arbeit toll finde. Meiner Meinung nach ist Empathie, das Hineinversetzen in andere Menschen, in deren Gefühlslage, das A & O in der sozialen Arbeit. Ohne Empathie sollte man sich vielleicht doch besser einen anderen Job suchen. Doch was genau bedeutet Empathie?
Empathie: Das A & O in der sozialen Arbeit
Empathie ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen von anderen Menschen einzufühlen. Was heißt „Einstellungen“? Empfindungen wie Gedanken, Emotionen, Motive, Persönlichkeitsmerkmale von anderen Personen erkennen, zu verstehen und darauf dann angemessen zu reagieren, das ist Empathie. (Wikipedia) Die Grundlage, Empathie zu haben, ist natürlich die eigene Selbstwahrnehmung. Je offener eine Person für ihre eigenen Emotionen ist, desto besser kann sie auch die Gefühle anderer deuten und desto geeigneter ist sie für einen Beruf im sozialen Umfeld. Galilei Galileo sagte einmal: „Sich selbst zu kennen, ist die größte Weisheit, die es gibt.“
Rückblick auf das Leben
Je älter man wird, desto klarer wird einem, wie schnelllebig alles ist. Manche älteren Menschen fragen sich dann, wie sie ihr Leben gelebt haben. Haben sie sinnvoll gelebt? Fehlt noch etwas? Wo sollen sie noch hin? Bereuen sie etwas? Haben sie vielleicht ein schlechtes Gewissen gegenüber gewissen Familienmitgliedern, möglicherweise, weil man sich auseinandergelebt hat, weil man keinen Kontakt mehr hat? Da stellt man sich eventuell die Frage: Hätte ich etwas anders machen können? Die Antwort ist: Nein! Letztendlich nicht. Denn zu dem Zeitpunkt konnte man nicht anderes reagieren. Nachher ist man immer schlauer und möglicherweise hat man lange darüber nachdenken können, aber zu diesem Zeitpunkt hätte man nicht anders reagieren können. Gegen das Älterwerden kann man nicht ankämpfen, es gibt nichts, was man dagegen tun kann. Woody Allen beschreibt das so: „Das Leben ist eine sexuell übertragbare Krankheit und die Sterblichkeitsrate beträgt 100 Prozent.“